Johann Baptist Neumair (1877-1963)
Johann Neumairs Kindheit und Jugend
Johann Baptist Neumair wurde als Sohn des Schuhmachers Josef und seiner Frau Theresia Neumair am 23.5.1877 in Altomünster geboren. Er wurde in der Pfarrkirche zu Altomünster einen Tag später katholisch getauft und am 25.9.1888 in der Klosterkirche von Indersdorf gefirmt. Im selben Jahr trat er in das Knabenseminar des Erzbischöflichen Instituts Schäftlarn ein. 1890 wechselte er in das Erzbischöfliche Knabenseminar Scheyern. Vier Jahre später im Herbst 1894 trat er zum Erzbischöflichen Institut in Freising über und wurde Schüler im Kgl. Humanistischen Gymnasium Freising. Auch hier nahm er am Knabenseminar teil. 1898 beendete er das humanistische Gymnasium mit der Durchschnittsnote „mittelmäßig“ und trat daraufhin ins Priesterseminar ein. Außerdem studierte er 1898/99 in Freising Philosophie.
Priesterweihe und Werdegang
Am 29.6.1903 wurde Johann Neumair schließlich im Hohen Dom zu Freising zum Priester geweiht. Nur ein paar Tage später kam er als Kooperator, das bedeutet als Hilfspfarrer, nach Endlhausen. In den nächsten Jahren kam es zu vielen Versetzungen: Am 15.1.1904 wurde er Koadjutor in Rieden, das ist u.a. eine Amtsbezeichnung für einen Pfarrgehilfen, ein Jahr später, am 7.2.1905, ging Johann Neumair noch als Koadjutor in den Ort Übersee. Am 19.7.1906 wurde er für zwei Jahre als Kooperator nach Hohenkammer geschickt. Längere Zeit war er in Fridolfing, wo er ebenfalls als Kooperator vom 22.8.1908 bis zum 13.7.1920 berufen war. Danach kam Neumair zunächst als Expositus nach Oberornau und dort wurde er schließlich am 5. Oktober 1921 Pfarrer der Gemeinde, wo er auch bis zu seiner Verhaftung blieb. Ein Expositus ist in einer Gemeinde zuständig, die zu einer festen Pfarrei gehört.
Nach der Machübernahme durch die Nationalsozialisten
Die Machtübernahme Hitlers 1933 hatte viele Verfolgungen und Verhaftungen als Folge. Auch Johann Neumair wurde ab 1937 mehrmals verhört, im selben Jahre durch den Bezirksamtmann von Wasserburg. Ein Jahr später erhielt er Unterrichtsverbot aufgrund antinationalsozialistischer Äußerungen. Am 17.7.1941 wurde er wieder verhört, diesmal von der Gestapo. Der Grund waren Äußerungen in der Christenlehre, er kam mit einer strengen Verwarnung davon, musste allerdings 300 RM „Sicherungsgeld“ bezahlen. 1944 wurde gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Feiertagsrecht ermittelt.
Pater Augustin Rösch
Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verfolgten die Nationalsozialisten alle, bei denen sie eine Verbindung zum Kreis der Verschwörer vermuteten. Aus diesem Grund suchte die Gestapo den Jesuitenpater Augustin Rösch, er war ein Provinzial, dies ist der geistliche Leiter einer Provinz. Pater Rösch gehörte dem Kreisauer Kreis an und tauchte im August 1944 unter. Er floh zunächst in ein Kloster der Armen Schulschwestern bei Dorfen, doch dort wurde es zu unsicher für ihn, also flüchtete er weiter nach Hofgiebing, das in der Nähe von Haag am Inn liegt. Dort fand der Pater im Herbst 1944 bei einer Familie Meier Zuflucht. Das Ehepaar Meier nahm den Pater vermutlich deshalb auf, weil einer ihrer Söhne einst bei den Jesuiten studiert hatte, nun aber im Krieg gefallen war. Vom Versteck des Paters bei der Familie wusste nur noch Gemeindepfarrer Johann Neumair, der allerdings nicht über den Grund der Verfolgung informiert wurde. Er besuchte den Jesuiten einmal an dessen Zufluchtsort in Hofgiebing.
Nach einigen Monaten wurde das Versteck Pater Röschs der Gestapo bekannt. Zwei Beamte der Gestapo suchten daraufhin am 11. Januar 1945 Johann Neumair zu Hause auf, der kurz vorher noch in Hofgiebing einen Gottesdienst gehalten hatte. Sie zwangen den Pfarrer, ohne einen Grund zu nennen, mitzukommen und brachten ihn über Schwindegg nach Schwindkirchen. Dort wurde er verhört und gefragt, ob er nicht einen Pater König kenne. (Zur Erläuterung: König gehörte ebenfalls dem Kreisauer Kreis an.) Johann Neumair verneinte dies, aber es wurde ihm nicht geglaubt. Am Nachmittag wurde er mit Pater Rösch und einem Teil der Familie Meier, die die Gestapo ebenfalls verhört hatte, in ein Gendarmenhaus in Schwindegg gesperrt und vier Stunden später auf ein offenes Transportauto mit anderen „Schwerverbrechern“ gebracht. Nicht nur Neumair war verhaftet worden, auch Pater Rösch, Vater Wolfgang Meier und zwei seiner Söhne, Wolfgang und Martin, und auch die Tochter Maria Meier. Die Gefangenen wurden nach München in die Gestapozentrale im Wittelsbacher Palais gebracht. Maria Meier wurde am 19. Januar 1945 entlassen. Die Männer transportierte man nach kurzem Aufenthalt in das Konzen-trationslager Dachau.
Dachau
Im Konzentrationslager kamen sie zunächst mit anderen Häftlingen in einen Badesaal, in dem sie auch vorübergehend schlafen mussten. Anders als er erwartet hatte, gab es hier nach Neumairs Angaben auch freundliche Menschen, die ihm und Wolfgang Meier Decken zum Schlafen gaben, da diese beiden nichts bei sich hatten. Am Morgen mussten sich die Gefangenen aufstellen. Sie wurden in ein Gebäude geführt, in dem sie all ihre Habseligkeiten abgeben mussten, sogar ihre ganze Kleidung. Anschließend ging es in einen Baderaum, hier wurden alle Haare am ganzen Körper abgeschnitten. Außerdem wurde der Körper mit einer scharfen Flüssigkeit eingestrichen, was eine „scheußliche Prozedur“ war. Die Häftlinge wurden nun nochmal in ein anderes Gebäude geführt, hier wurde ihnen die Kleidung gegeben, die sie in Dachau zu tragen hatten. Nachdem die Personalien aufgenommen waren, wurden die Gefangenen schließlich zu ihrem Block geführt. Johann Neumair kam mit der Gefangenennummer 138 059 in Block 17. Gegen Nachmittag mussten sich die Häftlinge aus Hofgiebing wieder zum Haareschneiden anstellen. Diesmal sollte bei jedem eine ca. 2 cm breite Linie mitten über den Kopf rasiert werden, damit jeder als Häftling des Konzentrationslagers erkannt werden konnte. Kurz bevor Johann Neumair an der Reihe war, wurde durchgerufen, dass „Neumair, beide Wolfgang Meier und Martin Meier frei und entlassen seien“. So bekam Johann Neumair seine Kleidung und alle seine Sachen wieder zurück und durfte im Gegensatz zu den Meiers wirklich gehen. Diese blieben in Dachau zurück, der Vater Wolfgang Meier verstarb dort am 22. Februar 1945 an Typhus. Am Ausgang stellte der Pfarrer fest, dass auch Pater Rösch entlassen werden sollte, und beide stiegen in diesem Glauben in ein Auto ein, das für sie bereit stand. Bald schwand jedoch die Hoffnung auf Freiheit, da sie weder zur Bahn noch nach Hofgiebing gebracht wurden, sondern nach München zur Gestapo. Dort wurden die beiden wieder eingesperrt und sogar gefesselt. Schon bald bekamen sie mit, dass es statt nach Oberornau, statt in die Freiheit, nach Berlin gehen sollte. In München-Pasing mussten sie mit zwei Gestapo-Offizieren in einen Zug steigen. Auf dem Weg nach Berlin erfuhren sie, dass sie dort vor den Volksgerichtshof gestellt werden sollten, da Pater Rösch als „Hochverräter“ und Johann Neumair als „Begünstiger des Hochverrates“ galten. Als solche verurteilt hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Todesstrafe erwartet.
Berlin-Moabit
Am 12. Januar kamen der Pater und der Pfarrer im Gefängnis Berlin-Moabit an und hier wurde Johann Neumair in die Zelle 551 gesperrt. Schon in der ersten Nacht erlebte Johann Neumair einen Bombenangriff der Alliierten mit. Diese Luftangriffe wiederholten sich in der Zeit, in der der Pfarrer im Gefängnis saß, 35 Mal.
Bereits am zweiten Tag in Berlin wurde Johann Neumair krank. Er hatte hohes Fieber, außerdem schwoll sein linkes Auge so sehr an, dass es zuklebte. Diese Geschwulst vergrößerte sich immer mehr und reichte schließlich bis zum linken Ohr. Auch seine Halsdrüsen entzündeten sich. Der Arzt, bei dem sich Johann Neumair daraufhin meldete, verordnete ihm lediglich eine Diät, um die der Pfarrer auch gebeten hatte, da er das Gefängnisessen nicht vertrug. Dem Pfarrer setzte dies alles sehr zu, schon nach acht Tagen konnte er kaum mehr gehen. Ein anderer Häftling, Dr. Ense, besuchte ihn daraufhin jeden Tag, da er früher als Arzt tätig gewesen war. Er gab Neumair von nun an jeden Morgen eine Schleimsuppe, da er meinte, dass der Pfarrer dringend mehr zu essen bräuchte. Dadurch ging es ihm allmählich etwas besser. Nach ein paar Tagen begann sich aber sein linkes Bein zu entzünden, doch alle Ärzte, die zu Johann Neumair kamen, waren unfähig oder nicht motiviert zu helfen und so entzündete sich das Bein immer mehr. Dr. Ense erkannte, dass es sich hier um eine Thrombose bzw. Thrombophlebitis handelte, was unter den Umständen im Gefängnis eine Lebensgefahr für den Pfarrer darstellte. Eine Trombophlebitis ist eine akute Gefäßerkrankung, bei der sich ein Blutgerinnsel in einem Gefäß bildet und sich oft die oberflächlichen Venen entzünden.
Eines Tages, es war Anfang Februar und die Rote Armee war schon in Ostpreußen einmarschiert, sollte Johann Neumair zum Verhör, doch auf Grund seines elenden Zustands war er nicht fähig, zum Verhörraum zu gehen, und so schickte ihn der Posten wieder zurück in seine Zelle. Dort wartete er einige Tage, um verhört zu werden, doch durch die sich überstürzenden politischen Ereignisse – es war kurz vor Kriegsende – kam es nicht dazu.
Nach guten vier Wochen im Gefängnis bekam Johann Neumair am 15. Februar 1945 am Nachmittag die sehnsüchtig erwartete Nachricht, dass er frei sei. Jedenfalls datiert er in seinen Erinnerungen seine Entlassung auf diesen Termin. Auch Pater Rösch hatte Glück und wurde Ende April 1945 freigelassen. Später wurde Rösch Landesdirektor der bayerischen Caritas und Mitglied des bayerischen Senats.
Sankt Hedwigs-Krankenhaus Berlin
Der Pfarrer kam allerdings nicht direkt nach Oberornau zurück, sondern zuerst in das Sankt Hedwigs-Krankenhaus in Berlin. Dort erhielt er ein eigenes, „sehr feines“ Zimmer, er bekam wieder stärkendes Essen und wurde sofort behandelt. Johann Neumair beschrieb dies als „ein Übergang vom Fegfeuer in den Himmel“. Am dritten oder vierten Tag riss sein krankes Bein auf und es floss sehr viel Eiter heraus. Daraufhin entzündete sich dieses immer wieder, schließlich hatte er Phlegmone. Bei einem Phlegmon, einer Infektionskrankheit, eitert die betroffene Stelle diffus. So ging es ihm von zu Tag zu Tag schlechter, schließlich glaubten die Ärzte nicht mehr daran, dass der Pfarrer überleben würde. Doch er hatte Glück und allmählich ging es wieder bergauf und sein Fieber sank.
Abends wurden oft Fliegerbomben auf Berlin abgeworfen, zu dieser Zeit mussten alle Kranken in den Schutzkeller hinunter. Die Angriffe wurden immer häufiger und heftiger, weshalb Mitte März Johann Neumairs Neffe Michael kam, um den Pfarrer aus dem Krankenhaus abzuholen und zurück nach Oberornau zu bringen. Nach ein paar Zwischenfällen, bei denen entweder ein Zug ausfiel oder das Krankenhaus stark von den Fliegern getroffen wurde, schafften die beiden es schließlich am 19. März 1945, einen Zug zu bekommen. Da die Züge wegen des Krieges nicht mehr regelmäßig und überallhin fuhren, mussten der Pfarrer und sein Neffe elf Kilometer vor Landshut aussteigen und den Weg zur Stadt zu Fuß gehen, was eine große Qual für Johann Neumair war. Nach drei Tagen Fahrt bzw. Marsch kamen sie endlich in Schwindegg an, hier wurden sie von einem Bekannten abgeholt und nach Oberornau gefahren. Im Ort erkannten viele Menschen den Pfarrer kaum wieder, da er so „entstellt und herab gekommen“ war. Sofort nach seiner Ankunft ging der Pfarrer in die Kirche, in der gerade Gottesdienst gehalten wurde. Als er auf seinem Stock in die Kirche hineinhumpelte, „da ging durch die ganze Kirche ein Schluchzen, so armselig mich zu sehen“, wie Neumair schrieb.
Im Haager Krankenhaus
Johann Neumairs Bein war immer noch nicht geheilt, im Gegenteil, es wurde wieder schlimmer und es eiterte immer mehr – die lange Reise hatte den Zustand seines Beines verschlimmert. Deswegen fuhr er am 6. April 1945 nach Haag ins dortige Krankenhaus. Dort wurde er in den nächsten zwei Wochen zweimal operiert, doch das Bein wurde nicht besser. Eines Tages kam ein Flüchtling, der Lette Dr. Dargevics, ein erfahrener Arzt, in das Krankenhaus Haag. Dieser erkannte sofort, dass in das Bein tiefer geschnitten werden musste. Also wurde Neumair ein drittes Mal operiert, diesmal mit Erfolg. Als der Pfarrer schon fast nach Hause gehen durfte, kam es erneut zu einem Rückschlag. Er hatte Erysipel, Rotlauf, an seinem operierten Bein bekommen. Wieder entkam er nur ganz knapp dem Tod. Schließlich, nach weiteren drei Monaten, war der Pfarrer so weit geheilt, dass er am 6. Juli 1945 zurück nach Oberornau durfte. Dort musste er sich allerdings noch sehr schonen. Erst ab Anfang Oktober war Johann Neumair wieder vollständig geheilt und konnte als Pfarrer tätig sein.
Am 5. August 1945 wurde Johann Neumair groß gefeiert, da er seit 25 Jahren Seelsorger in Oberornau war. Zu diesem Anlass wurde alles geschmückt, es waren sogar amerikanische Soldaten da, die ihn oft fotografierten, und die Oberornauer Bürger widmeten ihm „zum Jubiläum und als Ausdruck der Freude, dass er wieder da war“ die Sankt Johannes-Glocke mit fast 11 000 Reichsmark.
Entschädigung
Johann Neumair erholte sich nie vollständig von den Auswirkungen der Krankheiten, die er sich durch die Haft in Berlin zugezogen hatte. Deswegen stellte er im Januar 1951 beim Bayerischen Landesentschädigungsamt einen Antrag auf Entschädigung wegen Schadens an Körper und Gesundheit. Allerdings stellte sich dies schwieriger als gedacht dar, es dauerte ziemlich lange, bis Johann Neumair sein Entschädigungsgeld bekam und dieses auch nur nach zahlreichen Briefwechseln und Bitten. Laut eines ärztlichen Gutachtens vom 17. August 1953 war der Pfarrer völlig berechtigt dazu, eine Entschädigung zu bekommen. Seit 1945 litt er an Herzbeschwerden, er hatte eine Bewegungsbehinderung im linken Bein, an dem er die Thrombose gehabt hatte, er litt unter Stauungsbronchitis, Herzmuskelschaden mit Hypotonie, großer Struma, d.h. eine Vergrößerung seiner Schilddrüse, und weiteres. Die schlimmer werdenden Herzbeschwerden waren auch die Ursache dafür, dass Johann Neumair 1949 in den Ruhestand treten musste. Schließlich bekam er 1955 eine Kapitalentschädigung in Höhe von 17.374,34 DM und 1957 weitere 13.713,34 DM. Ab dem 1.12.1955 erhielt er zudem eine monatliche Rente von 250 DM.
1956 war Johann Neumair, obwohl er schon pensioniert war, für einige Zeit wegen Priestermangels als Aushilfe in Altomünster tätig. Am 9. April jenes Jahres kehrte er aber wieder nach Oberornau zurück, „um etliche Wochen der Ruhe zu pflegen“. Danach lebte er als Hausgeistlicher in Berg bei Schnaitsee, bis er am 3. Februar 1963 im Alter von 86 Jahren in seiner Wohnung verstarb.
Dieses Gedächtnisblatt wurde von Anneke Siebert im
W-Seminar „Biografien von Dachau-Häftlingen und in der NS-Zeit repressierten Lehrern“ am Camerloher-Gymnasium Freising 2012/2013 geschrieben.
Quellen:
AEM, PAP 1210; Personendokumentation 2463
BayHStA, LEA 26822
Literatur:
Georg Schwaiger: Wolfgang Meier, in: Blutzeugen der Erzdiözese München und Freising, herausgegeben von Peter Pfister, S. 62-64, Regensburg 1999.
Thema: Biographieprojekt (Teilprojekt3)
Autor: Anneke Siebert
Quelle: Quellen Diverse
Ort: Markt Altomünster