Albert Vettermann (1900-1942)
Die ersten JahreAlbert Vettermann wurde am 19. Dezember 1900 in Chemnitz als Max Albert Wilhelm unehelich geboren. Seine Mutter Martha Emma Wilhelm, geb. 1877, war Arbeiterin, evangelisch-lutherischer Religion und lebte in der Goethestraße 20. Später heiratete die Mutter und trug dann den Familiennamen Cavanaugh. Die ersten Jahre seiner Kindheit bis zum 9. Lebensjahr verbrachte Albert bei seiner Großmutter . Nachdem sein leiblicher Vater, der evangelische Kantinenpächter Friedrich Max Vettermann Marie, geb. Bobert, geheiratet hatte, nahm er Albert zu sich in die Oststr. 201. Am 1. Juni 1915 wurde der inzwischen vierzehnjährige Max Albert auf Antrag des Vaters ehelich erklärt . Die leibliche Mutter lebte zu dieser Zeit in New York. Sie starb 1916. Bis Ostern 1915 besuchte Albert die Volksschule, dann machte er eine Ausbildung zum Kaufmann in der Lebensmittelbranche. Als der Vater im Rang eines Feldwebels im Krieg war, musste Albert die Lehre unterbrechen um der Mutter mit dem Geschäft zu helfen.
Kriegsdienst nach dem Krieg
Im Juni 1918 trat Vettermann ins Militär ein, zunächst bei den „12. Jäger in Freiburg“. Im September meldete er sich nach Frankreich. Als sein Bataillon im November zurückgerufen wurde, meldete Vettermann sich zur 10. Armee ins Baltikum. Bis Anfang 1920 diente Vettermann beim 21. Freiwilligen-Bataillon der Baltikumtruppen, in denen zahlreiche spätere Nationalsozialisten gegen die Bolschewisten kämpften. Der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gehörte er 1937 jedoch nicht an.
Rückkehr nach Chemnitz
Nach seiner Rückkehr half er erst wieder im väterlichen Betrieb aus und arbeitete dann von 1921 bis 1927 im Lager der Firma Franz Niescher in Chemnitz, einer Margarinefabrik. Albert Vettermann war von Beruf Handlungsgehilfe, auch Kaufmann wird angegeben. Er sprach neben Deutsch auch Französisch.
Arbeit bei der Reichsautobahn
Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit fand er Arbeit bei der Reichsautobahn. Er wurde etwa ab Juni 1937 beim Bau der A8 von München nach Ulm eingesetzt. Zunächst wohnte er im RAB-Lager in Wiedenzhausen. Ebenso der 18jährige Johannes Rudolf Grosser, der am 14. März 1919 ebenfalls in Chemnitz geboren worden war, als Sohn der Aufwartefrau Lina Grosser, verehelichte Heidler. Ob sich die beiden erst hier oder bereits früher kennen lernten, ist nicht bekannt. Jedenfalls verstanden sie sich so gut, dass sie im August 1937 zusammen aus dem Lager auszogen und sich in dem Hof des Bauern Widmann in Sulzemoos einquartierten und auch eine sexuelle Beziehung entwickelten.
Verurteilt
Den Arbeitskollegen fiel dies auf, sie bemerkten, dass Vettermann Grosser häufig berührte. Sie wurden bald angezeigt, Vettermann wurde am 18. Oktober verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis nach Chemnitz gebracht. Nun kam es zu einer Anklage vor dem Landgericht Chemnitz. Am 4. Januar 1938 wurde Albert Vettermann wegen „Verführung eines Mannes unter 21 Jahren zur Unzucht in 2 Fällen u. versuchte Verführung in 1 Falle“ nach § 175a StGB zu einem Jahr und neun Monaten Zuchthaus sowie drei Jahren Ehrverlust verurteilt. Johannes Grosser erhielt eine einmonatige Gefängnisstrafe.
In das Urteil spielte auch eine Begebenheit aus dem Sommer 1937 mit hinein. Am 10. Juni 1937 habe Vettermann bei dem am 12. März 1921 geborenen Günther Vesper übernachtet und versucht, ihn zu verführen. Als Vesper Vettermanns Berührungen abwehrte, ließ der von Vesper ab. Ebenso wurde im Verfahren Gerhard Schnorrbusch als Zeuge gehört (geb. am 4. September 1916), mit dem Vettermann befreundet gewesen war. Auch von Schnorrbusch wurde Vettermann abgewiesen. Vettermann gab die Beziehung zu Grosser und die Annäherungsversuche an Schnorrbusch zu, bestritt jedoch die Vorwürfe bezüglich Vesper. Dennoch wurden beide Vorfälle als versuchte Straftaten gewertet und wirkten mit auf das Urteil ein.
Vettermann hatte zu dieser Zeit fünf Vorstrafen, davon drei Geldstrafen wegen Unterschlagung, unerlaubten Waffenbesitzes und Diebstahls (alle im Mai und Juni 1929) sowie eine Gefängnisstrafe wegen Betrugs (eine Woche, ebenfalls 1929). In der Urteilsbegründung ist von einer Vorstrafe wegen „Unterschlagung, unerlaubten Waffenbesitzes, Diebstahls und Betrugs“ die Rede. In der Abschrift aus dem Strafregister der Staatsanwaltschaft Chemnitz wird noch eine zweite Gefängnisstrafe von drei Monaten wegen Diebstahls aus einem Urteil vom 31. Juli 1937 durch das Amtsgericht Chemnitz erwähnt.
In Haft
Am 1. Februar 1938 trat Vettermann seine Haftstrafe im Zuchthaus Zwickau an. Das Haftende war zunächst auf den 11. August 1939 festgesetzt worden und wurde später auf den 11. Februar 1940 verschoben. Zwei Monate Untersuchungshaft im Untersuchungsgefängnis Chemnitz wurden angerechnet, aber offensichtlich wurde die Haftdauer nachträglich um ein halbes Jahr auf „2 Jahre 3 Monate Zuchthaus“ angehoben – so handschriftlich in einem Vordruck korrigiert. Bei seiner Einweisung wog Vettermann 65 kg bei einer Körpergröße von 170 cm. Vettermann gab bei der Eingangsuntersuchung an, dass er keine Geschwister und keine Kinder habe, die Mutter verstorben sei (unbekannt, wo), der Vater gesund. Er habe wenig geraucht und getrunken, sei beschwerdefrei. Im Anstaltsärztlichen Befund heißt es, Vettermann habe die „Volksschule besucht, gut gelernt“, verfüge über kräftigen Kochenbau und Muskulatur, über eine gerade Haltung, sicheren Gang, mache einen gesunden Eindruck. Er hatte keine Tätowierungen, aber eine Narbe am Hals von einer früheren Operation. Als Wohnort wird „Chemnitz, Leipziger Str. 89“ angegeben (heute unbebaut auf beiden Seiten, landwirtschaftliche Nutzung). Die Angabe der Konfession ist mit dem Zusatz „Kirchgänger“ versehen. Vettermann erhielt von der Anstalt neben einer Arbeitsschürze auch ein Gesangbuch, ein Liederbuch und das Neue Testament. Das Haftbuch enthält Hinweise auf Beschäftigung („Unterricht genehmigt“), Arbeit („Tütenkleben“) und eine Strafe: „wegen unerl. Sprechens“ wurde ihm am nächsten Tag, Sonntag, dem 11. September einmalig die Mittagskost entzogen. Ansonsten habe Vettermann sich gut geführt, sei der Anstaltsführung nicht unangenehm aufgefallen und habe gute Arbeitsleistungen gebracht. Wegen der Hausstrafe sei er zurückgestellt worden – möglicherweise war sie der Grund für die Haftverlängerung? Am 10. Februar 1940 wurde im Abgangsbefund „keine Klagen“ und Arbeitsfähigkeit festgestellt. Bei seiner Entlassung wog Vettermann ebensoviel wie bei der Einweisung.
Die Freiheit trügt
Kurz nach der Entlassung kehrte Vettermann in den Landkreis Dachau zurück. Ob er sich bessere Arbeitschancen erhoffte, oder ob er sich hier zu Hause fühlte? Eigentlich hatte er nach Sulzemoos auf den Widmann´schen Hof zurückkehren wollen, als er jedoch wegen seiner Vorstrafe keine Chance auf Arbeit in seinem Beruf erhielt, gab er noch im Gefängnis an, doch in Chemnitz bleiben zu wollen. Keine vier Wochen später war er jedoch wieder in Dachau: Am 5. März 1940 meldete er seinen Wohnsitz in Dachau in der Kufsteiner Straße 4 bei der Firma Schuster an, wo er möglicherweise angestellt war.
Wer hätte sich jetzt nicht über die wiedergewonnene Freiheit gefreut! Sicher ahnte Vettermann nicht, dass er erst jetzt wirklich in Gefahr war – das Gefängnis hatte ihn noch vor der Willkür der Nazis bewahrt. Die Freiheit jedoch trog –die Behörden hatten schon begonnen, Fallstricke auszulegen: Am 17. April 1940 erreichte die Vollzugsanstalten Zwickau folgendes Schreiben der KripoLeitstelle München: „Obengenannter verbüßte dort bis 11.2.40 eine gegen ihn vom LG.Chemnitz wegen wiedern Unzucht u.a. ausgesprochene Zuchthausstrafe von 2 Jahren 3 Monaten. Ich ersuche um Übersendung eines Führungsberichts, da Vettermann als Gewohnheitsverbrecher unter pol. planm. Überwachung gestellt werden soll.“
Vergeblich bemühte sich die Leitung des Zuchthauses, Vettermann gegenüber der Gestapo in Schutz zu nehmen: „Vettermann hat sich hier bis auf einen geringen Verstoß gegen die Hausordnung nichts zu Schulden kommen lassen. Seine Arbeitsleistungen waren gut. Da V. nicht einschlägig (§175RStGB) vorbestraft ist, dürfte es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt haben. Im übrigen ist er wegen Diebstahls vorbestraft. Die Gründe dafür dürften in seiner Arbeitslosigkeit zu suchen sein. […?] und ausdauernde Arbeit dürften ihn vor jeder weiteren Straftat zurückhalten. Polizeilicher Überwachung bedarf es m.E. nicht, da ich V. nicht als Gewohnheitsverbr. ansehe. i.V. […?]“
Längst war die Überwachung unabhängig von der Beurteilung durch die Gefängnisaufsicht – und letztendlich wohl auch die neuerliche Inhaftierung – beschlossene Sache. Die Meldekarte der Stadt Dachau verzeichnet einen Eintrag, aus dem hervorgeht, dass Vetterman bereits am 3. April 1940 durch die Kriminalpolizeileitstelle München unter polizeiliche Überwachung gestellt worden war. Am 15. Juni 1940 zog Vettermann in die Schleißheimer Str. 149.
Von Dachau nach Bernburg
Am 24. November 1940 wurde Vettermann um 10.30 Uhr vormittags in das Polizeigefängnis München gebracht und mit der Gefangenennummer 12288 in der Zelle 44 untergebracht. Als Haftgrund steht im Einlieferungsbuch „Vorbeugung“. Von hier wurde er am 14. Dezember 1940 ins Konzentrationslager Dachau überstellt, wo er als Polizeilicher Sicherungsverwahrungs-Häftling registriert wurde. Als Beruf wurde jetzt wieder Handlungsgehilfe angegeben. Er war in Block 24 Stube 1 untergebracht. Am 21. April wurde von Dr. Lang unter Narkose der linke Zeigefinger wegen Vereiterung amputiert. Ein halbes Jahr später, am 2. November 1941, wurde Vettermann zusammen mit anderen „P.S.V.“-Häftlingen, Arbeitszwangs-Gefangenen und einigen polnischen Schutzhäftlingen nach Ravensbrück überführt, wo er als „B.V.“-Häftling registriert wurde. Am 25. März 1942 wurde er in die Tötungsanstalt Bernburg/Saale überführt und sofort nach Ankunft ermordet.
Quellen:
• Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, Häftlingsdatenbank
• ITS-Archives Bad Arolsen, Copy of Doc. No. 9893889#1 (Listenmaterial Dachau), Copy of Doc. No. 9919675#1 (Listenmaterial Dachau, Operationsbuch), Copy of Doc. No. 3767080#1 (Listenmaterial Ravensbrück, Nummernbuch), Copy of Doc. No. 9913558#1 (Listenmaterial Dachau, Tansportlisten)
• Stadtarchiv Dachau, Meldekartei
• Stadtarchiv Chemnitz II, Geburtsregister Nr. 3216/1900; Polizeimeldewesen (Meldebuchauszug) Chemnitz I Buchstabe Ve 42; Polizeimeldewesen Ve 43 b I (andere Person: May Albert Vettermann, geb. 26.01.1902??); Meldebuchauszug der Eltern Friedrich Wilhelm Max Vettermann und Johanna Alma Vettermann, geb. Jem (?) scher (?)
• Telefonische Auskunft der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück an Björn Mensing vom 20.3.2014
• Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, 30071 Zuchthaus Zwickau, Nr. 16119
• StAM Pol.Dir. 8599 Haftbuch vom 17.9.1940-31.12.1940; Nr. 12288
• Privatbesitz, zur Verfügung gestellt von Gerhard Heinzinger: Foto des Reichsautobahnlagers Wiedenzhausen (digital)
Sabine Gerhardus, Stand 10.1.2015
Thema: Biographieprojekt (Teilprojekt3)
Autor: Sabine Gerhardus
Quelle: Quellen Diverse
Ort: Gemeinde Sulzemoos