Heimat ist dort, wo man Freunde hat
und sich wohl fühlt

Meine Familie stammt aus dem Ort Zuckmantel bei Teplitz-Schönau im Sudetenland. Zuckmantel liegt nahe an der Grenze zu Sachsen, an der Straße, die von Teplitz-Schönau nach Dresden führt. Mein Vater, Leopold Schneider, besaß in Zuckmantel eine Drogerie. In dem Haus, in wel-chem sich die Drogerie befand, war auch unsere Wohnung und außer dieser noch weitere sechs Wohnungen, die mein Vater vermietet hatte. Meine Mutter starb 1944 an Krebs, mein Bruder Franz wird seit der Schlacht um Stalingrad vermisst. Meine Schwester Antonia ist Lehrerin, und ich arbeitete als Bankkauffrau in der Kreditanstalt der Deutschen (KDD) in Teplitz-Schönau. Am 29 Juni 1945, an Peter und Paul, einem Feiertag bei uns, feierte mein Vater Leopold seinen 60. Geburtstag. Meine Schwester und ich kochten ihm mit viel Liebe ein Geburtstagsmahl. Es gab zur Feier des Tages eine Ente. Wir hatten sie in dieser schlechten Zeit bei einem Bauern eingetauscht. Die Flasche Wein hatten wir noch vom Weihnachtsfest aufgehoben. Als Zuspeise gab es die in meiner Heimat obligatorischen Böhmischen Knödel. Gerade als wir mit dem Geburtstagsmahl beginnen wollten, Wir durften nichts Wertvolles mitnehmen. Sämtliche Sparbücher und Wertsachen mußten wir ihnen übergeben. Während wir das Nötigste in Eile zusammenpackten, verschlangen die tschechischen Soldaten gierig, mit bloßen Händen, das mit viel Liebe zusammengestellte Geburtstagsessen. Wir Deutsche aus Zuckmantel mußten uns am Sportplatz sammeln. Dort öffnete man unsere Taschen und Koffer. Wertgegenstände, wie Uhren, Halsketten und Ringe sowie bessere Kleidungsstücke wurden beschlagnahmt. Bitter für meine Schwester war es, daß ehemalige Schüler von ihr diese Beschlagnahmungen aus-führten. Zusammen mit vielen Deutschen mußten wir nun zu Fuß in Begleitung von tschechischen Soldaten über Eichwald nach Zinnwald bzw. Altenberg in Sachsen gehen. Mein Vater mußte bleiben, da nur er die Drogerie, aus tschechischem Interesse, weiter führen konnte. Nach drei Monaten flüchtete mein Vater nach Thüringen, wo unsere erste Bleibe war, da die Übergriffe auf Deutsche zu brutal wurden. Wir dachten, daß die Ausweisung nur vorübergehend wäre. Doch es sollten 40 Jahre vergehen, bis ich mit meinem Sohn meinen Heimatort wieder besuchen konnte! Bis wir in Röhrmoos eine neue Heimat gefunden hatten, mußten wir oft den Wohnort wechseln. Unsere Umzugs-Odyssee mit meinem Mann, der ebenfalls aus Teplitz stammte, führte von Sachsen nach Thüringen, weiter nach Dachau, Fischbachau, Hundham, Günding und schließlich 1955 nach Röhrmoos. Hier fand ich Arbeit als Buchhalterin bei der Firma Eggl-Pabst. In diesem Familienbetrieb fühlte ich mich sehr wohl. Durch den beruflichen Kontakt im Büro der Firma Eggl Pabst mit der Bevölkerung der Gemeinde Röhrmoos lernte ich die Mitmenschen in meiner neuen Heimat „Röhrmoos“ schätzen und lieben. Eine Wohnung vermittelte uns die freundliche und hilfsbereite Frau Katharina Bücherl (Ziegeleibesitzersgattin) im sogenannten Göttler-Block. Im Göttler-Block lebten noch weitere Flüchtlingsfamilien, wie die Familien Siegmund, Langer und Jassmann. 1960, eigenartigerweise auch am Peter und Paul (29. Juni), verkaufte uns Erich Weinsteiger ein Baugrundstück in der sog. „Weinsteiger-Siedlung“. Später bauten wir hier unser Haus. Die Gemeinde Röhrmoos ist vor allem durch die vielen kleinen, freundlichen, oft unbedeutend erscheinenden Gesten und Worte von vielen Röhrmooser Mitbürgern zu unserer neuen Heimat geworden. (Die Autorin Marianne Rumrich starb am 28. Oktober 1996.)
Thema: Flüchtlinge und Vertriebene
Autor: Marianne Rumrich
Quelle: Marianne Rumrich
Ort: Gemeinde Röhrmoos