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Johann Bieringer aus Pasenbach, Häusler und Fuhrknecht

Familie Bieringer in Pasenbach
Die Familie Bieringer lebte nachweislich seit Johann Bieringers Großvater, Jakob Bieringer, in Pasenbach im Landkreis Dachau. Zumindest hat Jakob Bieringer dort im Jahr 1881 geheiratet und evtl. schon zu diesem Zeitpunkt im Rechenmacher-Haus gewohnt. Der Urgroßvater Johann Bieringers stammt aus Rumeltshausen bei Augsburg. Johann Bieringer wurde 1910 als Johann Schmid in Weichs geboren, wo seine Mutter Anna Maria Schmid vor der Hochzeit lebte.
Armut im Bezirk Dachau
Alle Bieringers waren Häusler, Händler und Fuhrknechte, zumeist in ärmlichen Verhältnissen lebend. Diese Armut traf wohl für viele Bewohner Bayerns zu, doch die Zahl der sozialen und damit auch gesundheitlichen Problemfälle im Bezirk Dachau lag stets über dem bayerischen Landesdurchschnitt. Die Physikatsberichte der Landgerichtsärzte seit Mitte des 19. Jahrhunderts zeigen eine überdurchschnittliche Armutsquote sowie einen – oft armutsbedingten – schlechten gesundheitlichen Gesamtzustand der Landbevölkerung im Landgerichtsbezirk, aber auch der städtischen Einwohnerschaft Dachaus. Dies gilt sogar noch zur Zeit der Stadterhebung im Jahr 1934 und nachher, wie aus einem Bericht des Bürgermeisters Hans Cramer aus dem Jahr 1938 hervorgeht, den der Dachauer Geschichtsforschers Hans-Günther Richardi im Jahr 2005 zitiert hat.
Haftstrafen wegen Bettelns
Warum diese Vorgeschichte zur Biographie von Johann Bieringer? Sie könnte vielleicht dazu beitragen, die Umstände seiner kurzfristigen Gefängnisstrafen und seiner späteren Haft im KZ Dachau besser zu verstehen. Sechs der insgesamt acht Haftstrafen seit 1926 erfolgten wegen „Bettelns“, und zwar zwischen Februar und Dezember 1932.
Politische Verfolgung
So richtig in die Fänge der ‚Bayerischen Politischen Polizei’, geriet er wegen „Verbreitung kommunistischer Druckschriften“. Dies zeigt sein Vernehmungsprotokoll. Über die Anklage wurde dann, wie immer bei ‚politischen’ Straftaten im Nationalsozialismus, von einem Sondergericht in letzter Instanz entschieden. Ob Bieringer die Flugschriften verteilt hat, geht aus den vorliegenden Quellen nicht zweifelsfrei hervor. Bieringer wurde am 6. Februar 1934 in „Schutzhaft“ genommen, nachdem er einem Mitbewohner in der Belgradstraße 208 in München helfen wollte, die in dessen Wohnung befindliche Druckmaschine außer Haus zu bringen. Dieser Mitbewohner, der 18-jährige Johann Bauer, hatte schon geahnt, dass er überwacht wurde, und deshalb Johann Bieringer gebeten, mit ihm die Druckmaschine wegzutragen. Während die beiden die Druckmaschine verschwinden lassen wollten, griff die Polizei zu und beschlagnahmte einige Flugblätter. Johann Bauer gab bei der Vernehmung an, Bieringer hätte ihm die Flugblätter zur Verbreitung gegeben.
Mitgliedschaft in KPD-Organisationen
Laut Angaben der Politischen Polizei vom 16. April 1934 war Bieringer bis zum Machtwechsel Mitglied der KPD, der Roten Hilfe (in Funktion als Hauptkassier), des KgF (Kampfbund gegen den Faschismus) und des Einheitsverbands (Gewerkschaft) gewesen. Bei der Roten Hilfe habe er die Funktion eines Hauptkassiers gehabt. Er habe als einer der rührigsten Kommunisten von Milbertshofen gegolten und auch noch am Wahltage des 5. März 1933 die KPD-Parteiuniform getragen.
Vom Polizeigefängnis ins Konzentrationslager
Zusätzlich wurde Bieringer noch von einem Mitgefangenen in der Polizeizentrale in der Münchner Ettstraße, German Straub, belastet. Straub beschuldigt Bieringer, in der Zelle Aussagen über die Arbeitsweise der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gemacht zu haben. Bieringer bestritt jegliche illegale Tätigkeit für die KPD. Über Straubs Schicksal ist nichts bekannt, Bauer wurde in Stadelheim und später in Neudeck inhaftiert, während Bieringer aufgrund von Bauers Aussagen am 3. März 1934 seine Strafe im KZ antreten musste. In dieser Zeit lief der Prozess gegen ihn, zuerst vor dem Oberlandesgericht und dann vor dem Obersten Landesgericht.
KZ-Haft trotz Freispruch vor dem Sondergericht
Bieringer musste bis zu seiner Entlassung am 18. Oktober 1935 im KZ bleiben, obwohl das Verfahren gegen ihn vom II. Strafsenat des Obersten Landesgerichts am 12. Mai 1934 wegen Nichtzuständigkeit eingestellt und an ein Sondergericht für ‚politische’ Fälle abgeben worden war. Vor dem Sondergericht, vor dem Bieringer am 13. Juni 1934 persönlich erscheinen musste, verweigerte Bauer die Zeugenaussage und Bieringer wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Trotzdem wurde er drei Tage nach dem Urteil wieder ins KZ zurückgebracht. Er erhielt dabei eine neue Haftnummer.
Die „Reichstagsbrandverordnung“
Grundlage für die Einrichtung von Sondergerichten und der Einrichtung einer ‚Politischen Polizei’ und deren Zuständigkeit für ‚politische’ Straftaten sowie für die Haftpraxis ohne Gerichtsbeschluss war die sog. ‚Reichstagsbrandverordnung’ (Verordnung zum Schutz von Volk und Staat) vom 28. Februar 1933, die auf Initiative der NSDAP vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg erlassen worden war. In dem o. g. Schreiben der ‚Bayerischen Politischen Polizei’ vom 16. April 1934 wird explizit auf diese Verordnung Bezug genommen.
Entlassung aus dem KZ
Bei der Entlassung aus dem KZ haben möglicherweise die Beziehungen seines Vaters Joseph eine Rolle gespielt, vermutet sein Sohn Walter. Joseph Bieringer belieferte nämlich als Viktualienhändler auch die Lagerleitung und -verwaltung mit Hähnchen und Eiern und konnte dort somit ein Wort für seinen Sohn einlegen.
Ob nun Bieringer sich seine KZ-Haft durch aktive Widerstandstätigkeit eingehandelt hatte oder ob er deshalb ins KZ kam, weil er bei dem Versuch, einem früheren Kameraden zu helfen, mit verhaftet und dann falsch belastet wurde, ist nicht mehr zweifelsfrei zu rekonstruieren. 
 
Johann Bieringers Familie
Johann Bieringer wurde geboren am 28. Dezember 1910 als Johann Schmid. Sein Vater heiratete die Mutter Anna Maria erst neun Jahre nach der Geburt, worauf der Sohn den Nachnamen des Vaters annahm. Bieringer heiratete im Jahr 1941 Kreszenz Ölbrunner aus Marktl am Inn, die er in Bad Reichenhall kennengelernt hatte. Er ist am 19. März 1943 in Aschkowo südwestlich von Moskau gefallen und wurde in Shisdra beerdigt. Johann hatte zwei Halbschwestern, Anna und Maria, die aus einer Beziehung seines Vaters mit einer Haushälterin namens Pfleger hervorgingen. Sein Halbbruder, 1906 geboren, war Georg Scherer, der langjährige Vorsitzende des ASV Dachau. Dieser entstammte der Verbindung seines Vaters mit Therese Scherer.
Schule und Beruf
Johann Bieringer arbeitete nach sieben Jahren Volksschule und drei Jahren Feiertagsschule (‚Sonntagsschule’) als Hilfsarbeiter und Fuhrknecht viel mit Pferden. Den Führerschein machte er erst beim Militär. Zwischen 1933 und 1936 war er bei zwei Speditionen in München angestellt.
Im Kriegsdienst
Auch während seiner aktiven Wehr- und Kriegsdienstzeiten, die im Mai 1939 begannen, hatte er mit Pferden zu tun. Er machte laut Wehrpass eine Ausbildung zum Meldereiter sowie zum Sattelfahrer und Fahrlehrer in München und Dillingen und war dabei einer Kompanie in Bad Reichenhall zugeteilt. Trotz seiner Vergangenheit als politischer KZ-Häftling durchlief eine normale militärische Ausbildung bis zum Rang eines Unteroffiziers.
Feldpost
Die Familie Walter und Waltraud Bieringer hat mir in Kopie drei Feldpostbriefe von Johann Bieringer an seine Frau Kreszenz überlassen, und zwar vom 27. Februar, vom 3. März und vom 17. März 1943 (zwei Tage vor seinem Tod). Am 27. Februar schreibt er: „Freut mich halt so, dass unser Mandi (Anm.: Söhnchen Walter) so frisch ist aber Du mit Deinem krank seinmachst mir Sorgen.“ Bieringer möchte gern wieder Rauchwaren zugesendet bekommen und schreibt, dass er jetzt wieder gesund sei und „essen und rauchen könnte für drei“. Im Brief vom 3. März geht es wieder um die Gesundheit: „Schau mir, dass Du wieder gesund wirst, dass unser Mandi eine recht gesunde Mutter hat.“
Der letzte Brief von der Front
Der letzte Brief vom 17. März spricht von Gefechten mit schweren Verlusten auf beiden Seiten, die seine Kompanie durchstand: „Ich habe schwere Tage hinter mir, die ich aber glücklich überstanden habe, was bei vielen nicht der Fall war. Wir hatten eine große Abwehrschlacht, aber wurden dabei Sieger. Man konnte unzählige Russen vor uns tot liegen sehn und erbeuteten viele Waffen. Hab nicht geglaubt dass es möglich ist so einen zahlenmäßigen überlegenen Gegner aufzuhalten. Das ist nun vorbei. Wir sehen nun unserem weiteren Schicksal entgegen. Bei Orel bin ich nicht mehr, sondern viel weiter nördlich. Ihr werdet ja in der Zeitung gelesen haben, was hier los war. Gestern wurden wir abgelöst und haben vier Tage Ruhe. Das tut uns ja wirklich not.“ Das Versprechen von vier Tagen Ruhe war allerdings nicht zu halten. Bieringer scheint weitere gefährliche Kämpfe geahnt zu haben: „In Zukunft wenn Du halt nicht so viel Post bekommst, dann liegt es nicht an mir. […] Wünsche Euch nun auch weiterhin alles erdenklich gute und hoffe dass ich heuer noch zu Euch meine Lieben heimkehren kann. Seid für heute recht heiss gegrüßt und geküsst von Eurem Vati“ (Schreibweise mit leicht korrigierter Rechtschreibung aus den Briefen übernommen).
In Aschkowo gefallen
Zwei Tage später war Johann Bieringer tot. Die Familie Walter Bieringer hat mir auch ein Kondolenzschreiben des Kompaniefeldwebels und ein späteres des Kompaniechefs zur Verfügung gestellt. Der Brief des erstgenannten datiert vom 6. April 1943, das bedeutet, dass er auf dem Weg von Aschkowo nach Marktl, wo Kreszenz Bieringer wohnte, wohl erst um die Monatsmitte angekommen sein dürfte. Bieringers Ehefrau hatte zuvor einen weiteren Todesfall erlitten, denn Johanns Vater Joseph Bieringer war am 18. März, also einen Tag vor seinem Sohn gestorben. Beide Männer haben also nicht vom Tod des jeweils anderen gewusst.
Söhnchen Walter
Walter Bieringer hat seinen Vater vor dessen Tod noch einmal gesehen, und zwar auf dessen Genesungsurlaub von der Front im November und Dezember 1942, allerdings war er zu dieser Zeit erst drei Monate alt und hat natürlich keine Erinnerung mehr daran. Johann Bieringer hatte Splitter im Gesicht und am Ohr abbekommen. Schon am 1. Januar 1943 musste er wieder zurück an die Front, wo er dann am 19. März gefallen ist.
Der Vater fehlt
Walter wuchs also vaterlos auf, ein Schicksal, das allerdings bei den Jungen und Mädchen seines Jahrgangs keine Seltenheit darstellte. Die Mutter heiratete 1947 ein zweites Mal, einen Nachbarn in Marktl, Josef Kagerer. Das Verhältnis zwischen dem Stiefvater und Walter Bieringer war nicht von Herzlichkeit geprägt. Seine Mutter sprach zu Hause nie über den leiblichen Vater. Aufgrund des schlechten gesundheitlichen Zustands der Mutter und damals fehlender frühkindlicher Betreuung wuchs Walter bei der Schwester der Großmutter auf. Zu dieser Zeit gab es keinen Kindergarten in Marktl. Walter Bieringer erlebte in seiner Kindheit und Jugend materiell und familiär schwierige Verhältnisse. Es war eine ‚bleierne’ Zeit. Bei seiner späteren Berufsausbildung als Betriebsschlosser wohnte er sehr spartanisch in einem Lehrlingswohnheim für Kriegswaisen in Waldwinkel bei Aschau. Später arbeitete er bei Zündapp in München, bei Esterer in Altötting und bei Wacker in Burghausen.
Das Rechenmacher-Haus in Pasenbach
Was geschah mit dem Rechenmacher-Haus in Pasenbach, das Johanns Vater Joseph Bieringer von seinem Vater Jakob im Jahr 1919 geerbt hatte? Das Haus wurde 1926 von Josephs Schwester Katharina, also der Tante von Johann Bieringer, ersteigert und von ihr 1939 ihrem Neffen Johann überschrieben, der allerdings zu dieser Zeit als Soldat an den verschiedenen Ausbildungs- und Einsatzorten, Ingolstadt, Bad Reichenhall und Landshut nichts davon hatte und es deshalb 1942 in einem Ehevertrag mit seiner Frau Kreszenz in Form der Gütergemeinschaft teilte. Zu dieser Zeit lebte sie nicht in Pasenbach, sondern in Marktl. 1950 verkaufte Kreszenz Bieringer, nun verheiratete Kagerer, das Rechenmacher-Haus für 2.250 DM an Johann und Anna Dinkel, die auch dort wohnten. Das Rechenmacher-Haus existiert in der ursprünglichen Form heute nicht mehr, aber es leben noch Nachkommen mit dem Familiennamen Dinkel dort.
Danksagung
Für Unterlagen zu Johann Bieringer danke ich Walter und Waltraud Bieringer sowie Frau Gerhardus und Herrn Größ, die auch mein Interesse an einer Biographie von Johann Bieringer im Rahmen des Dachauer Gedächtnisbuchs und der Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau geweckt haben.
 
Dr. Bernhard Weber, Dozent für Geschichte am Studienkolleg München.
 
Quellen- und Literaturverzeichnis:
 
·         Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, Auszug aus der Häftlingsdatenbank
·         Sammlung Walter Bieringer
·         StAM Staatsanwaltschaften 8839
·         StAM AG 41133
·         Gemeinde Weichs, Zweitschrift der Geburtsurkunde
 
 
 


Thema: Biographieprojekt (Teilprojekt3)
Autor: Bernhard Weber
Quelle: Quellen Diverse
Ort: Gemeinde Vierkirchen